Samstag, 24. November 2012

Michael und Anna



Michael zieht den Stuhl hervor, setzt sich und rutscht mit unangenehmen Geräuschen heran an den Tisch. Unangenehm, weil sie die Stille zerrissen, die in dem hohlen Raum stand. Die Haut an seinen angespannten Knöcheln wurde weiß und die Sehnen traten aus den blassen Handgelenken hervor. Zwischen dem Ring und seinem Finger bildete sich ein Spalt. Früher hatte er sogar rote Striemen, wenn er ihn abnahm. Nun hatte er abgenommen. Er bekam eine Gänsehaut und die Haare auf seinem Arm stellten sich auf. Er streifte den Pulli nach unten um es zu verdenken und verkreuzte seine Hände. „Wie geht es euch?“ Durch den trockenen Mund, klang Michaels Stimme so kläglich. Als ob jemand daran zog.
Keine Antwort, von keinem. Der Tisch war voll besetzt. Der Riese aus Holz mit all seinen schwachen Astlöchern und den dicken Beinen, war lang nicht so schwer, wie die Stille, die im Raum lag. Langsam kroch sie aus den Ecken, und setzte sich auf seinen Schoß.
„Ach Micha, es ist nicht einfach mit ihr. Oft weint sie. Weint, wenn sie allein ist. Weint mit offenen oder geschlossenen Augen. Weint ohne auch nur eine Träne zu verlieren. Und verliert dabei sich selbst.“
Ihr graues Haar wirkte in dem kalten Licht sehr blass. Ihre Augen hatten sich zurückgezogen. Hilflos blickte Sie zu ihrem Nachbarn. In seinen Augen befand sich die Sehnsucht.
“Michael, ich will ehrlich mit dir sein. Vorwürfe verdienst du keine. Ich glaube nicht, dass es dir viel anders geht. Schau dich doch an! Junge ich bin enttäuscht. Nach zwei Jahren solltest du doch bitte wieder Fuß fassen. Weißt du ich hab das auch erlebt…“
Michael senkte den Kopf und drehte ihn weg. Nichts hatte er erlebt. Er kannte weder die große Einsamkeit, noch die Frage der Schuld.
Keiner Verzog einen der Mundwinkel und Michael hob langsam seinen Kopf, griff sich nervös in den Nacken und wagte es. Er sah sie an.
Er weiß noch genau wie es damals begann. Anna traf er in der Nacht. Zusammen mit Benjamin war er gern nach dem Fußball unterwegs. Ein paar nasse Haarspitzen schauten unter der schwarzen Wollmütze hervor. Ein Lächeln ging über seine rauen Lippen, als er sich erinnerte, wie Benjamin an diesem Abend doch drängelte.
Zu früh aufgestanden, den Fuß beim Training vertreten. Es war nicht Michaels Tag. Das herbe Bier, was nun vor ihm stand, lockte mit Entspannung. Benjamin hatte ein besonderes Mitteilungsbedürfnis und war froh einfach zuhören zu können. Isabel war der Mittelpunkt seiner Worte. Irgendwann war das zweite Bier leer und der Schaumrest lief an der Innenseite des Glases herab. Michael zahlte, entschuldigte sich bei Benjamin und ging. In der S-Bahn nickte er ein. Das Lachen einer Frau holte ihn in die Realität zurück.
“Entschuldige, aber du hast dich grad besabbert.“ Lachte sie laut und reichte ihm ein Taschentuch. So hatte es begonnen vor sieben Jahren. In einer Nacht endete es auch. Zusammen im Auto fuhren sie nach Hause. Benjamin und Isabel hatten sich verlobt. Es war ein schöner Abend, dass wusste er noch. Sie lachte, laut, vielleicht weil sie angetrunken war. Sie hatte gewonnen im Autorennen, die Playstation diente als Entscheidungshilfe, wenn es darum ging, wer nüchtern bleibt und wer trinken darf. Er liebte Anna und ihren verbissenen Blick, wenn sie Gewinnen wollte. Sie biss sich auf die Unterlippe und eigentlich hatte Michael sie gewinnen lassen, er wollte nicht, dass ihre zarten Lippen zu bluten begannen. Welch wilden Kuss er bekam, vor Freude. So zart Ihre Lippen mit seinen spielen konnten, so wild konnten sie sein, wenn sie allein waren. Anna mochte es, wenn Michael Hemden trug. Es verdrehte ihr den Kopf. Allein die Vorstellung auf seinem Schoß zu sitzen, seine muskulösen Beine zu spüren und ein Knopf nach dem anderen genüsslich zu öffnen, während er mit Küssen nur so übersäht wurde, ließ ihre Augen blitzen.
Auch die Scheinwerfer blitzten auf, als das Auto plötzlich auf der eigenen Fahrbahn auftauchte. Annas aufgerissene Augen, ihr Schrei und ihr lebloser Körper. Alles blieb ihm erhalten, in seinem Kopf. Und die Narbe an seinem Kopf.
Gerda und Hans passten nun auf sie auf. Anna mochte auch seine Eltern. Sie sitzt mit ihnen an einem Tisch, in dem weißen leeren Raum.
Zuerst hat Michael versucht ihr zu folgen. Lief ihr nach, doch scheiterte so oft an dem leeren Sprung.
Seine Adern pulsierten nun. Und die Gedanken in seinem Kopf rasten umher. Die Wut in seinem Bauch begann auszubrechen und er warf den Stuhl um rannte in Annas Richtung. Mit offenen Armen, wollte sie halten. Ihren Duft wahrnehmen, ihre weiche Haut streicheln. Sie nie wieder los lassen. Doch Michael fiel nur auf den Boden.
                                                                                                                            

Montag, 17. September 2012

Zum Geburtstag

Darum sing ich dir ein Liebeslied...

Wir suchten die Verantwortung in den Schatten unserer Steine.
Konnten den Sonnenuntergang feiern und den Moment atmen.
Leben in den Tag hinein, mit Plan, mit Macht, mit Worten.
Bauen eine Höhle, versteckt hinter Bäumen, ohne Dach.
Wir fallen gegen die Wände, reisen in die Nacht hinein.
Du kennst mein Versteck,
kennst meine Worte,
kennst mich besser, als ich.

Freitag, 7. September 2012

Verrücktes Leben, weck mich!

Benebelt taumelt das Wesen Mensch
Es handelt im Kreis,
ohne Rat.
Sand passt sich den Fugen an,
rundet alles ab und fehlt in der Uhr,
fehlt in den Zeichen der Zeit.
Ein Blick in die Hölle,
doch nicht nur an diesem Tag.
Ecken werden umgangen,
Weichen gestellt.
Das Wesen Mensch wünscht es unkompliziert und leise.
Desinteresse trifft die Aufmerksamkeit im Herzen,
putzt das Fenster zur Welt und spuckt es voll.
Lebenslinien versagen,
gemalt von leeren Werbekulis.
Gemalt mit Blut, als Unterlage dient dein Schatten.
Mit scharfen Kanten sucht es die Wunde.
Blind trottet das Wesen Mensch mit lebender,
bebender Zerstörungswut mit Potenzial
und viel mehr nocht mit Agression. 
In Herz, Lunge, Kopf.
Es schlägt einem auf den Magen.
Die Hochbetagten ertrinken im blau,
weil sie sich nicht fanden,
nicht ordnen konnten.
Das moderne Wesen Mensch wartet auf den Untergang,
sorgt sich nicht um Zukunft der kleinen Wunder,
der kleinen Helden.
Tötet und erstickt im Keim,
kann über Leichen gehen,
wartet und zögert nicht,
sucht das beruhigende grün,
vergebens in den Höhen.
Unfassbar, unhaltbar, meilenweit und leblos.
Schwacher Atem, der Himmel brennt,
die Engel fliehen nicht.
Fliegen können sie nicht mehr.
Nicht in der Umgebung der Rahmenlosigkeit.
Alles fehlt und versteckt wird die Ursache sorgsam.
Das moderne Wesen Mensch wird sich töten...
Und die Zukunft gleich mit. Aber hier macht ja keiner was falsch.